von Albert Camus
Gastspiel Salzburger Landestheater
St. Pauli Theater Hamburg
Er schickte ehrbare Frauen ins Bordell und Kaufleute zum Scharfrichter: Der römische Kaiser Gaius Caesar Germanicus war rücksichtslos, brutal und sadistisch. Aber was ist das für eine Welt, in
der dieser Caligula noch der Normalste von allen ist, so fragt der französische Dichter Albert Camus: Schließlich kosten alle Gräueltaten des irren Kaisers bei weitem nicht so viele Tote wie der
Krieg eines sogenannten vernünftigen Herrschers.
Schon die zeitgenössischen antiken Quellen über Caligula („Stiefelchen“) lesen sich wie Ausschnitte aus der Regenbogenpresse – oder aus einem Lehrbuch der Psychiatrie. Er hat Götterbilder durch
das eigene Porträt ersetzt, er hat mit seiner Schwester geschlafen, er will sein Lieblingspferd zum Konsul ernennen und er will den Mond zu seinem Eigentum machen.
In Camus Version in den 40er Jahren unter dem Eindruck des 2.Weltkriegs entstanden, und von Regisseur John von Düffel in seiner konzentrierten Fassung nochmal einmal verschärft treibt die Sehnsucht nach dem Amoralischen diesen tyrannischen Herrscher an. Caligula ist die Tragödie maßlosen Machtwillens. Caligula ist kein brutaler Despot, sondern ein raffinierter, intellektueller Verbrecher, der seine Untertanen immer weiter treibt, wie in einem Experiment, um zu prüfen, was sie alles erdulden. Als er endlich unter den Dolchen der Verschwörer zusammenbricht, sind seine letzten Worte: „Ich lebe. Ich lebe.“ – Eine indirekte Aufforderung, dass die Verpflichtung zum Widerstand nie erlischt.
In Düffels Aufführung trennt ein Wassergraben das Publikum von Caligula, das ist schon mal beruhigend, denn so raubtierhaft, wie Ben Becker – in dieser Glanzrolle nach seinem „Judas“ endlich
wieder in Hamburg auf der Bühne zu sehen – den römischen Kaiser spielt, ist jederzeit mit einem Blutbad zu rechnen. Nein, ein Sympathieträger ist der lorbeerbekränzte Caligula wirklich nicht.
Beklemmend, wie Ben Becker diesen Aberwitz verkörpert, aufwühlend und von sarkastischer Schärfe.
Die Stücke von Camus wurden in den letzten Jahre eher selten gespielt. Das letzte Mal war der doch schon etwas betagte, im Zweiten Weltkrieg geprägte Existenzialismus in den siebziger Jahren in Mode. Neuerdings freilich macht „Caligula“ wieder häufiger Schlagzeilen, und wenn dann so ein Beserker wie Ben Becker in der Titelrolle auf der Bühne steht, ist das fast beschämend unterhaltsam, so ähnlich, als ob Peter Ustinov als Nero das brennende Rom besingt. Bei Becker klingt der Wahnsinn nie gestelzt, absurd oder im eigentliche Sinne „irre“. Nein, alles erscheint in sich logisch, konsequent, hellsichtig.
In Salzburg wurde der starke, pausenlose neunzig Minuten kurze Abend umjubelt. Jetzt ist er endlich auch in Hamburg zu sehen.
TRAILER
► Quelle: YouTube
KREATIVTEAM
Inszenierung
John von Düffel
Marike Moiteaux
Ausstattung
Eva Musil
Musik und Video
Phillip Hohenwarter
Matthias Peyker
BESETZuNG
Caligula
Ben Becker
Caesonia
Nikola Rudle
Scipio
Tim Oberließen
Helicon
Komi M. Togbonou
Agbaglah Patricius
Christoph Wieschke
Fotos im Hintergrund: Marcus Dallüge, (c) 2019