Nach mehr als 700 Vorstellungen in einem Jahrhundert ist der Jedermann noch immer zentraler Bestandteil der DNA der Salzburger Festspiele und schreibt seine Historie in einem fort: ein
singulärer Vorgang im deutschsprachigen Theater.
Konzipiert als Wiederbelebung einer mittelalterlichen Moralität nach dem Vorbild des englischen Everyman, angereichert durch Hecastus von Hans Sachs und andere Quellen, schreibt
Hofmannsthal über Jahre in einem Europa der kulminierenden Konflikte an seinem Jedermann – im Kopf immer eine mögliche Umsetzung durch Max Reinhardt. „Sein eigentlicher Kern offenbarte
sich immer mehr als menschlich absolut, keiner bestimmten Zeit angehörig, nicht einmal mit dem christlichen Dogma unlöslich verbunden; nur dass dem Menschen ein unbedingtes Streben nach dem
Höheren, Höchsten dann entscheidend zu Hilfe kommen muss, wenn sich alle irdischen Treu- und Besitzverhältnisse als scheinhaft und löslich erweisen, ist hier in allegorisch-dramatische Form
gebracht, und was gäbe es Näheres auch für uns?“ Die thematische Rückführung, die Hofmannsthal hier beschreibt und die weder zeitlich noch dogmatisch gebunden ist, bildet das ideologische
Kraftzentrum des Jedermann.
„Im Kern stellt der Jedermann die Frage: Was passiert, wenn der Tod in das Leben tritt? Der Tod ist in unserer Kultur so sehr verdrängt wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte. Wir versuchen, uns zunehmend von unserer Endlichkeit abzuschotten und uns möglichst wenig damit zu konfrontieren, aber trotzdem ist letztlich allen klar: Um ein bewusstes Leben zu führen, ist es notwendig, einen reflektierten Zugang zum Tod zu finden. Das gehört grundsätzlich zum Leben dazu. Der Mensch muss sich irgendwann mit dem Tod auseinandersetzen; er wird dieser Konfrontation nicht entgehen. Das Mysterium, das dieses Rätsel vom Tod des Menschen und seiner Begegnung mit dem Tod umgibt, existiert in allen Religionen und Kulturen. Und seit Menschen singen und schreiben, Kunst und Bilder produzieren, beschäftigt sie dieses Thema.
In diesem Jahr ist uns allen besonders bewusst geworden, wie schnell unser Leben ganz anders aussehen kann, wie plötzlich alle unsere Pläne über den Haufen geworfen werden. Unter diesen Umständen
war es uns wichtig, auch ein politisches Statement abzugeben. Heute ist es wesentlich zu spielen und die Gesellschaft behutsam für das Gemeinsame zu öffnen. Wir brauchen Gemeinschaft und Kunst,
um uns als Gesellschaft zu entwickeln, besonders in schwierigen Zeiten. Was Jedermann zu allen Zeiten war und ist: ein Stück für die Menschen, die im Publikum sitzen und sich fragen, wie
denke ich in meiner Zeit über mein Schicksal nach. Unsere Inszenierung zielt deshalb auf eine zeitgenössische Lesart. Wir holen die Menschen in der Gegenwart ab und versuchen, sie mit einer
Geschichte zu berühren, die zu jeder Zeit große Relevanz hat.
Es gibt im Jedermann, abgesehen vom Stil der Sprache, wenige Hinweise auf die Zeit. Hofmannsthals Sprache, die aus der Wende zum 20. Jahrhundert stammt, kreiert ein Kunstmittelalter,
etwas Klassizistisches, eine Nachschöpfung eines anderen Stils, die natürlich viel über ihre eigene Zeit aussagt. Mit der Figur des Jedermann, die Hofmannsthal auf den reichen Mann zugeschnitten
hat, spezifiziert er diesen Menschen. So wird sein Jedermann zum ,Spiel vom Sterben des reichen Mannes‘. Trotz dieser Definition steht Jedermann für alle Menschen, weil alle Menschen
sterben müssen, wobei es dem Hofmannsthal’schen Jedermann besonders schwerfällt, sich vom Weltlichen zu trennen. Das ist die Zuspitzung.
Erheblichen Anteil am Erfolg des Jedermann in Salzburg, mit dem die Festspiele am 22. August 1920 begründet wurden, hatte beim Spiel auf dem Domplatz die direkte Konfrontation des
Theaters mit der Kirche, die auch die letzten Dinge verhandeln will, also die Begegnung zwischen Profanem und Spirituellem. Mit dem Domplatz fand Reinhardt einen Ort, wo er diese Pole
aufeinanderprallen lassen und für sich eine ganz große Theatralik entwickeln konnte.“
TrailEr
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KREATIVTEAM
Regie
Michael Sturminger
Bühne und Kostüme
Renate Martin
Andreas Donhauser
Komposition
Wolfgang Mitterer
Musikalische Leitung
Jaime Wolfson
Licht
Urs Schönebaum
Choreografie
Dan Safer
Dramaturgie
Angela Obst
BESETZUNG
Tod
Edith Clever
Jedermann
Lars Eidinger
Jedermanns Mutter
Angela Winkler
Jedermanns guter Gesell
Anton Spieker
Ein armer Nachbar
Jörg Ratjen
Ein Schuldknecht / Mammon
Mirco Kreibich
Des Schuldknechts Weib
Anna Rieser
Buhlschaft
Verena Altenberger
Dicker Vetter
Gustav Peter Wöhler
Dünner Vetter
Tino Hillebrand
Glaube
Kathleen Morgeneyer
Teufel
Mavie Hörbiger
Tischgesellschaft / Werke
Theresa Dlouhy, Carl Fabian Theodore Düberg, Julia Duscher, Claire Gascoin, Skye MacDonald, Paula Nocker, Maximilian Paier
Fotos im Hintergrund: Marcus Dallüge, (c) 2021