von Kay Voges & Ensemble
Uraufführung
Volksbühne Berlin
„Was gab es denn? Was lag in der Luft? Zanksucht. Kriselnde Gereiztheit. Namenlose Ungeduld. Eine allgemeine Neigung zu giftigem Wortwechsel, zum Wutausbruch, ja, zum Handgemenge. Man erblasste
und bebte. Die Augen blitzten ausfällig, die Münder verzogen sich leidenschaftlich.“ So beschreibt Thomas Mann im vorletzten Kapitel seines Zauberbergs die in einem Sanatorium vor sich
hin dämmernden Figuren am Vorabend des Ersten Weltkriegs.
Die Atmosphäre ist geladen, die Erregung mit Händen greifbar.
Etwas mehr als ein Jahrhundert später: Im Dauerflimmern der sozialen Netzwerke rüstet man sich für den kommenden Culture War. Alles erreicht uns, alles dringt unter unsere Haut. Minimale
kommunikative Anstöße bewirken maximale Rückkopplung. Die Wut über die Wut der anderen macht uns immer wütender. Die Differenz wird zum Fetisch, die Echokammer zum Sinnbiotop, die Empörung im
Gewand der Moral zum Reflex.
Jeder bläst mit seinen Posaunen auf zum Kampf um die Wahrheit und die Hoheit der Zeichen. Aufregung für alle, bis die Weltkugel glüht.
Hier stehen wir, verwundbar, eingewickelt in die Nerven der gesamten Menschheit. Wir sind im globalen Hier das dauernde Jetzt, uns einander unerträglich nah. Googles ehemaliger Slogan „Don’t be
evil“ – immerhin bis 2017 offizielles Credo des Unternehmens – wirkt da bloß wie ein schwaches Elmsfeuer aus der Zeit linker Netz-Utopien und Free-Cyberspace-Manifeste.
Denn wenn durch die Empörungskybernetik und Emotionsindustrie das Sowohl-als-Auch der Hyperkultur gegen das binäre Dafür-oder- Dagegen der Filterblasen eingetauscht wurde, müssen wir wieder nach dem Dazwischen suchen. Durch welche Fenster sehen wir die Welt? Wer steht zwischen den Bildern? Und wem gehört die Hand, die da unentwegt durch die Timelines scrollt?
KREATIVTEAM
Regie
Kay Voges
Bühne
Michael Sieberock-Serafimowitsch
Kostüme
Mona Ulrich
Director of Photography
Voxi Bärenklau
Videodesign
Robi Voigt
Live-Videoschnitt
Andrea Schumacher
Live-Kamera
Jan Isaak Voges
Musik
Paul Wallfisch
Dramaturgie
Ulf Frötzschner
Matthias Seier
BESETZUNG
Andreas Beck
Manolo Bertling
Susanne Bredehöft
Vanessa Loibl
Uwe Schmieder
Julia Schubert
Sylvana Seddig
Werner Strenger
Fotos im Hintergrund: Marcus Dallüge, (c) 2019